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Ich bin ein Seefeld Kind. Bin im Seefeld geboren und habe dort meine Kindheit und Jugend verbracht. Und wisst Ihr was, Ihr Zugezogenen? Das Seefeld war in den 70er Jahren ein Arbeiter- und Ausländerquartier. War gar nicht chic dort zu leben. In den 80er Jahren verkam es übrigens zum Treffpunkt des Zürcher Drogenstrichs. Als ich als 14-Jährige nach dem Skifahren an der Tramhaltestelle Höschgasse ausstieg um an der Seefeldstrasse nach Hause zu laufen, notabene mit Skianzug und Skiern auf der Schultern, hielten sogar dann noch die Freier an weil die wohl meinten ich sei eine sehr phantasievolle Prostituierte die mit den Skistöcken umzugehen weiss. Mein Vater und ich sassen jeweils auf dem Balkon im 3. Stock und warfen mit Wasser gefüllte Plastiksäcke auf die im Auto wartenden Freier, die ständig ihre Motoren laufen liessen. Ja, das war ein Spass im Seefeld! Ich sags Euch.
Ach ja, und viele Jungs meiner Klasse verfielen den Drogen. Die konnten sich unten am See (Hafen Riesbach, wo wir uns jeden Tag trafen um ein bisschen rum zu hängen), mit dem langweiligen Haschisch nicht mehr halten und liefen los, ins AJZ (Autonomes Jugend Zentrum, jetzt ist die Kunstgewerbeschule dort) und ins Drahtschmidli (heutige Dynamo, früher Treffpunkt der bösen bösen Drogen). Leider kamen sie nicht mehr zurück und wenn dann mit Methadon in der Tasche. Die waren alle aus gutem Hause, die Jungs, aber wer nicht stark genug war, der konnte in dieser Zeit, auch aus dem Seefeld kommend, untergehen.
Und dann kamen die goldigen 90er und somit die Yuppies. Die fanden das Seefeld ganz toll und machten es zum Place to be. Die Quartierbeizen machten langsam den trendigen Lokalen Platz und die alten, eingesessenen Seefelder blieben nicht mehr viele gemütliche „Chnelle“ zur Verfügung. War ja auch nicht weiter schlimm, denn he, sie wurden in den Jahren nach dem Millenium so oder so langsam aber sicher aus dem Quartier gedrängt. Häuser wurden saniert und die Wohnungen zu horrenden Preisen weiter vermietet. Die alten, liebenswerten Seefelder mussten Platz machen. Auch meine Mutter gehörte zu den Glücklichen, die nach über 40 Jahren Seefeld aus der Wohnung gekickt worden ist.
Das Seefeld mag jetzt clean, hot, in, hip und moderner geworden sein, aber der Charakter, der das Seefeld ausmachte ging verloren. Nicht nur wegen den überteuerten neuen Wohnungen, chicen Restaurants und langweiligen Boutiquen, die nach paar Monaten eh wieder dicht machen, nein, vielmehr weil die echten, alteingesessenen Seefelder keinen Platz mehr hatten und weg gezogen sind. Genannt wird es die Seefeldisierung, die übrigens in der ganzen Stadt Zürich bereits begonnen hat. Schade.
Hm. Habe grad ein schlechtes Gewissen, ich mit meiner Wohnung an der Feldeggstrasse in den 90ern…
Hallo Jessica, danke für mal etwas mehr Text und auch mal mit spannenderem Inhalt… 🙂 Das ganze nennt sich übrigens Gentrification oder Gentrifizierung zu Deutsch und ist ein Phänomen, dass sowohl Soziologen und wie auch Architekten/Stadtplaner seit den 90ern rege erforschen. Das passiert an sehr vielen Orten, nicht nur in Zürich:-) und ist sehr eng an den Globalen Wirtschaftskapitalismus gebunden.
Wollte nur meinen Senf dazu geben. Finds aber toll, dass es in so einem Rahmen mal thematisiert wird. Ich selber bin als Architekt mit Schwerpunkt auf Städtebau ja eher sensibel für diese Themen.
Weiter so!
Lieber Gruss
Daniel
Liebe Jessica, deine „kurze Geschichte des Untergangs“ (des Seefelds) kann ich (leider) nur bestätigen. Das Seefeld war ab Mitte der 1970-ern das „schlimmste“ Viertel in Zürich. Man wollte dort nicht freiwillig wohnen!!! Ich habe meine Tante, die an der Arbenzstrasse lebte, oft besucht und fühlte mich als junger Mann extrem unwohl!
Anfangs der 90-er Jahre kam plötzlich der Umschwung (Abzug Drogenszene an den Letten?), die ersten (hochpreisigen) Renovationen fanden statt und das Seefeld wurde plötzlich In; mit allen schönen, aber auch negativen Konsequenzen. Auch meine Tante wurde aus ihrer Wohnung (an der Arbenzstrasse „rausrenoviert“. Sie fand zum Glück Unterschlupf in einer Pflegewohnung in „ihrem“ Seefeld.
Wobei, wollte man die Zustände der 70-er und 80-er Jahre noch im Seefeld haben? Ich für meine Seite sicher nicht! Irgendwo in der Mitte wäre es am Besten. Alte Seefelder und junge Leute und Familien, die gerne im Seefeld wohnen, sich integrieren und gerne auch engagieren!
Liebi Grüess (von einem zuagroasten nach München, wo grad auch gleiche passiert!)
Marc